
Zu Hause bleiben. Distanz halten. Die Auswirkungen der Corona-Krise haben unseren Alltag fest im Griff. Besonders betroffen ist die Reisebranche. Muna el Hadidi von Reisebüro Hadidi berichtet in unserer Reihe „Engagiert für Gröpelingen – Starke Frauen“ über die Folgen von Corona für ihr Unternehmen und wagt einen bangen Blick in die Zukunft.
Frau el Hadidi, wie geht es Ihnen?
Mir geht es gesundheitlich gut. Beruflich und wirtschaftlich ist es momentan leider eine Katastrophe. Dadurch, dass wir keinerlei Einnahmen und nur Ausgaben haben, habe ich wirklich Angst um die Zukunft.
Wie kommen Sie konkret durch die Corona-Krise?
Aktuell leben wir von unseren Rücklagen, wobei die natürlich dünn sind. Im letzten Jahr mussten wir schon Ausfälle durch die Thomas-Cook-Pleite und die Pleite der Fluglinie Germania verkraften. Man hatte sich gerade so halbwegs wieder gefangen, dann kam Corona. Wir werden kein Jahr ohne Einnahmen überleben können. Auch wenn Sie Kurzarbeitergeld bekommen, können Sie die Kosten damit nicht aufgefangen.
Als kleineres Familienunternehmen sind Sie nicht allein betroffen?
In Deutschland gibt es aktuell rund 10.000 Reisebüros, kleine Unternehmen, die gerne übersehen werden. Wir fordern von der Politik eine Soforthilfe, die nicht rückzahlbar ist, um die Krise zu überstehen. Wir haben keine Einnahmen und müssen unsere Provision für nicht statt gefundene Reisen zurückzahlen. Wir arbeiten quasi zweimal. Einmal bei der Beratung und nun durch die Absage. Erschwert wird das Ganze von den Reiseveranstaltern, die ihre Telefonleitungen kappen und auf Mails nicht reagieren. Trotzdem wollen wir unseren Kunden helfen, dass sie ihr Geld wieder zurück bekommen und keine Gutscheine.
Sie arbeiten im Moment, obwohl sie nichts verdienen?
Ja richtig. Das ist wirklich sehr, sehr schwer. Die weltweiten Reisewarnungen wurden verlängert und die Leute sind natürlich verunsichert. Die Kunden sind vielleicht selber von Kurzarbeit betroffen oder mussten ihren Urlaub schon aufbrauchen, um die Kinder zu betreuen. Diejenigen, die jetzt sagen, ok, ich buche um, sind meist im Rentenalter und finanziell gut aufgestellt.
Was ist der Unterschied zwischen Ihnen als selbstständiges Reisebüro und den Reiseveranstaltern?
Wir stellen Reisen nach den Wünschen unserer Kunden zusammen und vermitteln diese. Für diese Leistung erhalten wir vom Reiseveranstalter eine Provision. Wenn die Reise nicht stattfindet, erhalten wir natürlich keine Provision. Die Arbeit leisten wir trotzdem. Das ist ja auch der Mehrwert für die Kunden, wenn sie zu uns ins Reisebüro kommen. Wir sind erreichbar, haben keine 0180 Nummer, keine Warteschleife. Wir sind immer greifbar vor Ort, wenn wir nicht wegen Corona unsere Läden schließen müssen.
Ist Ihr Laden im Moment geöffnet?
Wir dürfen den Laden gar nicht öffnen, beziehungsweise nur nach Termin, aber das machen wir nicht. Also läuft alles per Telefon, per E-Mail oder WhatsApp. Je nachdem, was für die Kunden am einfachsten ist. Und für Ältere, die das nicht nutzen, haben wir noch eine schöne Klappe an der Tür, wodurch wir miteinander sprechen können und Briefe werden in den Briefkasten geschoben. Es gibt für alles eine Lösung, wir sind technisch gut aufgestellt.
Sie sind mit Ihrem Reisebüro in Gröpelingen ansässig. Was macht den Stadtteil aus?
Besonders ist auf jeden Fall die Vielfalt, dass hier so viele Menschen unterschiedlicher Nationen zusammen leben. Das klappt größtenteils sehr gut. Und ich finde, wenn ich das mal so sagen darf, die Gröpelinger sind einfach ehrliche Leute. Hier gibt es kein gespieltes Schi Schi und das liebe ich besonders an Gröpelingen.
Gibt es in Ihrem Angebot bestimmte Schwerpunkte?
Wir verkaufen sehr viele Nur-Flugreisen für alle Kulturen, die in ihre Heimat reisen. Da können wir besondere Konditionen anbieten, mehr Freigepäck, flexible Umbuchungsmöglichkeiten, weil viele ja länger in ihrem Heimatland bleiben möchten. Ansonsten sind wir ziemlich breit aufgestellt: von der normalen Pauschalreise über Kreuzfahrten bis hin zu sogenannten Baustein-Reisen, bei denen uns der Kunde ungefähr sagt, was er möchte und wir erstellen ein zugeschnittenes Angebot.
Wie sind Sie überhaupt zur Reisebranche gekommen?
Ich habe ursprünglich Industriekauffrau gelernt. Dann bin bei meinen Eltern in den Betrieb eingestiegen, die hier in Gröpelingen einen Sonderposten-Markt hatten. Irgendwann entdeckte ich die Möglichkeit nebenberuflich Reisen zu vermitteln. Reisen war schon immer mein großes Hobby, daher fand ich das Thema spannend.
Meine Eltern konnte ich davon überzeugen, eine kleine Ecke in ihrem Geschäft als Reisebüro auszustatten, sozusagen ein Mini-Reisebüro im Sonderposten-Markt. Das war schon sehr skurril. Nach einiger Zeit begann ich eigene Verträge mit den Veranstaltern abzuschließen. Wenn ich die in unseren Laden einlud, wo noch Gemüse verkauft wurde, war das natürlich nicht sehr repräsentativ. Weil die Umsätze gut waren, konnte ich nach und nach mit allen großen Veranstaltern Verträge abschließen. Ich habe seitdem viele Weiterbildungen gemacht. In unserer Branche ist man ohnehin nie fertig ist mit Lernen. Wir haben ständig Seminare, Schulungen. Das macht diesen Job so großartig.
Jetzt arbeiten Sie im eigenen Büro?
Als meine Eltern den Markt aufgaben, musste ich ein eigenes Ladenlokal suchen. Ich wollte mitten ins Geschehen Richtung Lindenhof. Eine gute Lauflage ist schon wichtig. Das Reisebüro lebt auch von Leuten, die einfach mal am Schaufenster entlang schlendern, Angebote anschauen und Lust auf Reisen bekommen. Die Lage ist optimal. Auch diejenigen, die nicht hier wohnen, können uns gut erreichen, vor der Tür parken oder auf dem kostenfreien Parkplatz hinter dem Haus.
Sie haben sich neulich an der bundesweiten Demonstration „Rettet die Reisebüros!“ beteiligt. Worum ging es?
Das war eine Premiere. Wir haben noch nie für uns als Branche demonstriert, aber wir werden einfach nicht wahrgenommen. Es geht ja nicht nur um die Reisebüros. Hinter uns stehen viele andere Unternehmen zum Beispiel IT-Firmen. Wir sprechen hier von über 100.000 Jobs. Das sind mehr als Arbeitsplätze als bei einer TUI, die mal eben mit 4.000 Arbeitsplätzen und Millionen gerettet wird. Wir brauchen Soforthilfe, die nicht rückzahlbar ist. Und wir haben einen Vorschlag ausgearbeitet, wie perspektivisch allen geholfen wird: Reiseveranstaltern, Reisebüros und den Kunden durch einen nationalen Fond, einen staatlichen Rettungsschirm.
Wie soll es weitergehen?
Wir sollten einen gesunden Mittelweg finden, dass auch beim Reisen ein Umdenken einsetzt. Ich wünsche mir eine andere Art von Reisen, dass man mehr Länder und Leute wahrnimmt und dem Ganzen viel mehr Respekt entgegenbringt. Das könnte die Krise wirklich verändern. Es geht auch nur, wenn wir langsam nach und nach Länder wieder öffnen, das Reiseaufkommen steigern und alles im vernünftigen Maß mittragen.
Was vermissen Sie gerade am meisten?
Am meisten vermisse ich meine Kunden. Die Leute kommen nicht nur zu mir, wenn sie eine Reise buchen. Sie gehen am Fenster vorbei und winken mir zu, kommen auch gerne mal herein und fragen: Wie geht’s dir? Hast du schon das und das gehört? Das ist auch wie ein Dorf hier, ein Dorf mitten in der Stadt und wir sind ein Teil davon.
Das Interview führte Eva Determann.